Im Kontext der Corona-Pandemie hat die Geschäftsstelle des Internationalen Theaterinstituts Deutschland die Mitglieder des Vereins befragt, inwiefern ihre internationale Kulturarbeit von der Krise betroffen ist. Die Teilnahme an der Umfrage war vom 22.04.2020 bis zum 03.05.2020 möglich. Insgesamt wurden 60 Fragebögen ausgefüllt. In diesem Zusammenhang wurden zunächst Informationen zum Arbeitsverhältnis der Teilnehmenden erfragt. 22 Personen gaben an angestellt zu sein (37%), wobei zwei dieser Personen gleichzeitig noch freiberuflich, bzw. selbstständig tätig sind. Mit Ausnahme von drei im Ruhestand befindlichen Teilnehmer:innen gaben alle anderen Personen an freiberuflich oder selbstständig tätig zu sein (35 Personen, 58%). Die Teilnehmenden wurden gebeten, das Tätigkeitsfeld weiter zu spezifizieren. Die Antworten bilden einen Großteil der möglichen Arbeitsfelder im Bereich „Theater“ ab und lassen sich nur schwer aufschlüsseln. Es ließen sich keine Tendenzen dahin feststellen, dass sich bestimmte Berufsgruppen eher pessimistisch oder optimistisch zur Situation äußern. Zur Auswertung: Mit Ausnahme von Frage 1 waren sämtliche Fragen in Form von freier Textfeldeingabe zu beantworten. Dementsprechend vielfältig sind auch die Antworten. Es ließen sich aber zu allen Fragen bestimmte Trends feststellen, die für diese Auswertung gruppiert und statistisch erfasst wurden. Da dabei Mehrfachnennungen nicht nur möglich, sondern eher die Regel waren, müssen die Diagramme nach folgendem Schema gelesen werden: xx % = Anteil an allen Antworten, die dieses Problem/Zustand/Erwartung formulieren. Grundsätzlich lässt sich eine starke Erschütterung des Selbstverständnisses der internationalen Theaterarbeit feststellen. Der Großteil der Teilnehmer*innen der Umfrage ist zumindest in Hinblick auf die kommenden zwei Jahre sehr pessimistisch eingestellt. Bei einigen besteht aber immerhin die Neugier, sich mit neuen Formaten auseinanderzusetzen. Gleichzeitig wurden sehr konkrete Erwartungen an das ITI und an das ITI-Netzwerk formuliert.
Die Auswertung der Umfrage finden Sie auch hier zum Download.
Hier zeigt sich ein klarer Trend: 54 Personen haben diese Frage mit „Ja“, 6 Personen mit „Nein“ beantwortet. Es muss ergänzt werden, dass einige der „Nein“-Antworten von Personen stammen, die zurzeit nicht in internationale Projekte involviert sind, bzw. deren Projekte erst im kommenden Jahr stattfinden.
Hier wurden die Befragten zunächst gebeten, die Auswirkungen, welche die Covid-19-bedingten Einschränkungen auf ihre Projekte hatten, näher zu beschreiben.
In 37 der 54 Antworten (69%) wird von direkten Absagen berichtet. Bei vielen dieser Absagen handelt es sich um Theatergastspiele, Workshops und Symposien/Vorträge im weltweiten Ausland. Einige berichten auch davon, dass sie ein komplettes Festival absagen mussten. Ein weiteres, oft beschriebenes Problem, besteht darin, dass Probearbeiten durch die Unmöglichkeit der Einreise nach Deutschland nicht fortgeführt werden konnten und daher auch die Produktionen abgesagt werden mussten. Probearbeiten im Ausland mussten abgebrochen werden.
In vielen Antworten (35%) wurde zudem die Unklarheit benannt, die für viele Projekte gerade vorherrscht. Dies liegt vor allem daran, dass derzeit keine Visa ausgestellt werden und es zudem unklar ist, wann ein internationaler Reiseverkehr wieder aufgenommen werden kann. Die Grenzschließung hat z.B. radikale Konsequenzen für ein deutsch-französisches, transnationales Theater im Grenzbereich, das den Probenbetrieb komplett einstellen musste, da viele Künstler*innen auf der französischen Seite aufgrund von Zeitverträgen nicht über die Pendler-Sonderregelung nach Deutschland einreisen dürfen. Eine weitere Unklarheit besteht darin, ob Fördergelder bei Verschiebungen der Projekte möglicherweise nicht ausgezahlt werden, bzw. ganz eigefroren wurden.
Acht Personen (15%) gaben an, dass ihre internationalen Aktivitäten verschoben werden mussten. Hierbei ist zu spezifizieren, dass die Projekte oft um ein ganzes Jahr oder auf unbestimmte Zeit verschoben wurden. Ein weiteres Problem bei den Verschiebungen liegt bei den Kooperationspartnern, die für die kommende Spielzeit noch keine festen Zusagen machen können. Vier Personen (7%) beschrieben Konzeptänderungen, welche durch die Corona-Krise erforderlich wurden.
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass sich die Antworten bei Frage 2 und bei Frage 3 in großen Teilen überschneiden. Interessanterweise wurde hier mehr als in Frage 2 von Verschiebungen berichtet (34 Personen, 58%). Gleichzeitig werden Probleme bei der Verschiebung erwähnt, die häufig in der Terminfindung für die kommende Spielzeit liegen. Auch Absagen wurden häufig als Maßnahme genannt (22 Personen, 37%).
Es wurde aber auch detaillierter auf Konzeptänderungen eingegangen. Beispielsweise wird beschrieben, dass für die kommende Spielzeit nur mit Solo-Stücken geplant wird. An anderer Stelle wurden inhaltliche Änderungen am Projekt vorgenommen. Viele berichten von (der Suche nach) alternativen Arbeitsformen.
11 Personen (19%) berichten von digitalen Formaten, die als Ersatz zu „analogen Aufführungen“ genutzt werden. Eine Person berichtet gar von einem „ambitionierten digitalen Programm“, mit dem Zusatz, dass hier statt Streaming „digitale Dramaturgie notwendig“ sei.
Bei dieser vierten Frage lassen sich ebenfalls einige Trends ausmachen. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Befragten zum Thema „internationale Projekte“ entweder pessimistisch in die mittelfristige, bzw. langfristige Zukunft blicken oder feststellen, dass sich dazu zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussage treffen lässt (9 Personen, bei 58 Antworten sind das 17%). Es wird von einschneidenden Veränderungen ausgegangen, welche die internationale Arbeit in absehbarer Zeit bestimmen werden. In den Spezifizierungen dieser Annahmen lassen sich wiederum ein paar Trends unter den Befragten erkennen.
17 Personen (29%) gehen von einer erheblichen Einschränkung der Künstler*innen-Mobilität aus. Viele sehen hier als Hauptproblem erschwerte Visabestimmungen und drastische Quarantäneregelungen. Einige vermuten auch, dass die Einreise für Künstler*innen aus dem Ausland deutlich schwieriger werden könnte. Andere wiederum fürchten, dass manche Länder ihre Grenzen mittelfristig komplett schließen könnten. Oft lässt sich die Aussage lesen, dass das Konzept der internationalen Gastspiele/ Tourneen/ Probephasen grundsätzlich überdacht werden muss.
14 Personen (24%) fürchten Schwierigkeiten in der Finanzierung ihrer Projekte für die kommenden Jahre. Es wird vermutet, dass die sich verschlechternde Weltwirtschaftslage zu Einschnitten bei der Förderpolitik führen wird und zwar sowohl vonseiten der deutschen als auch vonseiten der ausländische Fördereinrichtungen. Viele der Antwortenden beschreiben, dass die eigentlichen Probleme nicht dieses Jahr, sondern erst nächstes Jahr auftreten werden. Das liegt zum einen daran, dass viele Theaterschaffende ihre Förderanträge für dieses Jahr erst nächstes Jahr stellen werden und somit eine „Bugwelle“ an Förderanträgen geben wird. Zum anderen wird angenommen, dass die Soforthilfen 2021 nicht weiter ausgezahlt werden, sodass Engpässe in der Auftragslage nicht mehr abgefedert werden können. Im Kontext der Finanzierung wird oft genannt, dass die erwarteten Steigerungen der Reisekosten, Kooperationen im jetzigen Umfang unmöglich machen werden.
12 Personen (21%) beschreiben das Wegbrechen von (internationalen) Kooperationen als eine der mittel- bzw. langfristigen Folgen der Corona-Krise. Der „Verlust von unmittelbarem Austausch“ wird hier als ein Hauptproblem genannt. Laut den Antworten kann internationaler Austausch oft nur durch tatsächliche Begegnungen realisiert werden. Auch bestehe die Gefahr, dass einige der Kooperationspartner*innen in ihrer jetzigen Struktur nicht mehr existieren könnten. Einige Personen nannten zudem die Sorge, dass eine Rückkehr zu nationalistischen Denkmustern eine Folge der Pandemie sein könnte.
Von den Personen, die beim Blick in die Zukunft durchaus Positives erkennen können, wird das Suchen nach neuen Formaten als eine Konsequenz der Pandemie genannt (7 Personen, 12%). Für einige ist hierbei die Fortführung der Arbeit online nur ein Mittel zum Zweck und wird noch mit einem Fragezeichen versehen. Es wird aber auch davon ausgegangen, dass sich die Formen der internationalen Zusammenarbeit grundsätzlich ändern werden, nicht aber die Projekte an sich.
Während in Frage 4 der Studie die Projekte der Umfrageteilnehmer*innen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, rückt in dieser Frage die Einschätzung zur Entwicklung des Kultursektors allgemein in den Fokus. Auch hier lässt sich die grundlegende Tendenz beobachten, dass pessimistisch in die Zukunft geblickt wird. Demgegenüber stehen 11 Antworten (bei 53 Antworten sind das 21%), die eine eher optimistische Sicht der Dinge erkennen lassen. Wie auch bei Frage 4, gaben einige Personen an (11 Personen, 21%), dass sich zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussage zu den Konsequenzen der Corona-Krise treffen lässt.
15 Personen (28%) gehen von starken Einschnitten im Kultursektor aus. Dabei werden zum Teil dieselben Einschnitte wie in Frage 4 benannt (Einschränkung der Mobilität, Schwierigkeiten bei der Finanzierung etc.). Die Frage der Finanzierung wird zum Teil spezifiziert im Hinblick auf eine wachsende „Förderungsungerechtigkeit“ zwischen Ländern mit hohen und solchen mit niedrigen Kulturbudgets. Es wurde auch angemerkt, dass Hygienemaßnahmen höhere Budgets erfordern werden. Es wurden aber auch andere Sorgen formuliert, z.B. dass in Zukunft Aufträge „zögerlicher vergeben“ werden könnten.
Ebenfalls 15 Personen (28%) gingen von noch gravierenderen Änderungen für den Kultursektor aus. Nicht selten wird von Theater-, Festival- oder Projektesterben gesprochen. Dabei wurde beispielsweise die Sorge genannt, dass nur ein Teil der etablierten Theaterstrukturen überleben werde. Es könnten sogar auch „viele Player und Festivals“ verschwinden. An andere Stelle wird eine Abnahme der „Wichtigkeit und Wirkung des Theaters“ prognostiziert. Für einige ist das Fortführen von internationalen Kooperationen existenziell gefährdet.
Oft wurde die Ansicht geäußert, dass sich Arbeitsweisen und Formate grundsätzliche ändern werden und dass eine kollektive Wanderung in den digitalen Produktionsraum unvermeidbar sei (14 Personen, 26%). Viele der Befragten sehen sich durch die Krise aber nicht nur dazu veranlasst, neue Formate zu entwickeln. Sie wollen gleichzeitig auch alte Herangehensweisen hinterfragen: die notwendige Verbesserung bisheriger digitaler Arbeitsweisen und die Entwicklung von künstlerischen Digitalformaten sind dabei zu nennen. Im Kontext des Klimawandels ist es aber insbesondere die Befragung der internationalen Kulturarbeit und der sich immer mehr steigernden Künstler*innen-Mobilität, die mit einem ökologischen Nachhaltigkeitsgedanken nur schwer in Einklang zu bringen ist und nun neu überdacht werden sollte.
Eine ebenfalls häufig genannte Sorge bezüglich der Zukunft des internationalen Kultursektors liegt in der neuen Tendenz zurück zum Nationalen, bzw. Regionalen. Die internationale Kulturarbeit wäre eine Leidtragende dieser Entwicklung, sagen 11 Personen. Angst besteht beispielsweise vor noch restriktiveren Visavergaben oder vor einer nationalen Abschottungspolitik. Mit dieser Furcht vor Abschottungspolitik ist oft nicht nur der politische Vorgang der Grenzschließung gemeint, sondern es wird auch der Rückgriff auf eine nationale Kulturidentität mit einbezogen.
Es besteht aber bei einigen Personen (11, 21%) durchaus die Hoffnung, dass durch die erzwungen Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie, alternative Wege der Zusammenarbeit entstehen können, die sich auch langfristig bewähren. Durch neue Kommunikationsformen können, so die Hoffnung, neue Partner gefunden, neue Nähe geschaffen werden. Doch auch bestehende, stabile Partnerschaften sehen viele der Befragten nicht als gefährdet. Einige verwiesen auch auf die „große Kollegialität“ die, die aufgrund der derzeitigen Situation national und international eintrete. Die Extremsituation, in der wir uns befinden, erfordere eine generelle Offenheit für neue Lösungen). Während der Krise kommen die weltweiten Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden besonders extrem zum Vorschein. Eine Hoffnung bestand darin, dass sich Menschen in Deutschland, in Europa, dieser Privilegien bewusster werden, und das weltweite Gefälle so mehr in den notwendigen Fokus der Förderpolitik gelangt. Einen optimistischen Blick haben auch die, die nach der Pandemie – dank einer agilen Kulturszene – eine Rückkehr zu alten Aktivitäten erwarten.
Die Erwartungen an das ITI-Netzwerk sind so vielfältig wie seine Mitglieder. 48 Personen haben diese Frage ausführlich beantwortet. Bei den Antworten lassen sich eindeutige Trends feststellen, die in vier Gruppen eingeteilt werden können: a.) Erwartung an das ITI, kulturpolitisch aktiv zu werden (21 Nennungen, 44%), b.) die Stärkung von Austausch (19, 40%), c.) Erwartung an das ITI, eigene Impulse zu setzen (15, 31%) und d.) Bereitstellen von Informationen (11, 23%).
Die kulturpolitische Aktivität des ITI sollte sich laut den Antworten insbesondere auf die internationale Theaterarbeit konzentrieren. Konkret sind es die Forderung nach neue Förderbedingungen und die Umsetzung von kulturpolitischen Strategien in Corona-Zeiten, die die Mitglieder sich als Schwerpunkt der Arbeit des ITI wünschen. Auch die schwer getroffene freie Szene sollte stärker durch die Arbeit des ITI unterstützt werden.
Ein intensiver Austausch wird von vielen als wichtige Hilfe in diesen Zeiten angesehen, die insbesondere durch das ITI gestärkt und gefördert werden sollte. Dies fördere, so die Antworten, zum einen die (internationale) Solidarität untereinander, zum anderen kann dadurch ein gemeinsames Vorgehen koordiniert und neue Lösungen zum Umgang mit der Situation gefunden werden.
Eine gute Koordination der Weitergabe von Wissen und Informationen ist für viele ITI-Mitglieder in dieser Zeit besonders wichtig. Es wird erwartet, dass das ITI über kulturpolitische Entwicklungen der internationalen Zusammenarbeit und zu Förderprogrammen informiert, dass es Expertise zu digitalen Formaten bereitstellt und dass es internationale, künstlerische Entwicklungen neuer Formate enger verfolgt und dieses Wissen besser bündelt. Das ITI sollte in der Krise eigene Impulse setzen. Die Anregungen sind in diesen Fällen sehr konkret formuliert: Impulse könnten z.B. durch die Organisation von Workshops und Konferenzen, die Auswertung internationaler Entwicklungen, aber auch durch die Stärkung von existierenden Netzwerken der darstellenden Künste gesetzt werden.
Wie es den Darstellenden Künsten international derzeit geht, dies ist ein wichtiges Thema nicht nur aber insbesondere für die Mitglieder des ITI. Der überwältigende Rücklauf an Antworten beweist dies deutlich. Wenngleich sich aus den Ergebnissen dieser Umfrage viel Unsicherheit herauslesen lässt, Zukunftssorgen und auch Frust, liest man auch Nachdenkliches. Viele der Teilnehmenden reflektieren ihre Arbeit – Formate, Kooperationen und Routinen.
Man muss (oder kann) diese Krise nicht einseitig als Chance verstehen. Aber eine Aufforderung zum Denken ist sie allemal. Das Internationale Theaterinstitut setzt die Kommunikation mit seinen Mitgliedern fort, um gemeinsam mit ihnen und den nationalen und internationalen Netzwerken der Theaterarbeit die Post-Corona-Zukunft der Darstellenden Künste zu gestalten. Die Stärkung des internationalen Austauschs, die Festigung von Kooperationen mit Partnern aus aller Welt sowie die unbedingte Aufrechterhaltung und Verbesserung der Rechte von Künstler:innen weltweit – dies ist es, was die Arbeit des ITI in den nächsten Wochen und Monaten prägen wird. Hierbei wird es in enger Zusammenarbeit mit den nationalen und internationalen Kulturnetzwerken sowie mit den kulturpolitischen Sprecher:innen in engem Austausch sein.
Für Anmerkungen und Ergänzungen zu dieser Umfrage stehen wir Ihnen gern zur Verfügung. Sollten Sie Fragen zum Inhalt, zur Erhebung UND Auswertung der Daten haben, können Sie sich gern an uns wenden:
info(at)iti-germany.de
Datum der Asuwertung: 12.05.2020
Autor der Auswertung: Felix Sodemann
Redaktionelle Mitarbeit: Annette Doffin, Thomas Engel, Christine Henniger, Maxim Wittenbecher